* Schrottgrenze *
* Schrottgrenze *
Im Jahre Zwölf ihrer Existenz veröffentlichen Schrottgrenze mit Château Schrottgrenze ihr fünftes Album. Und es macht sich ein Widerspruch auf in dieser Musik: zwar klingen Schrottgrenze so schlicht wie nie, haben ihre Arrangements aufs Wesentliche reduziert, und doch besitzen die Lieder mit Sicherheit die bis dato längste Halbwertszeit in der Geschichte der Band. Auf die Werkbank des Produzentenpontifex Tobias Levin (Tocotronic, Kante, Surrogat) und Mixer-Meister Michael Ilbert (The Cardigans, Hellacopters) gelegt, haben sich Schrottgrenze spürbar aufs Wesentliche konzentriert - das Poplied im klassischen Sinne, und es ist jedem einzelnen Lied anzuhören, dass die gemeinsame Vorbereitung zum Album mit äußerster Hingabe geschah und die Zusammenarbeit keineswegs auf tönernen Füßen stand: Es flogen Namen und Alben gemeinsamer Lieblingsbands durch den Raum, jeder durfte sich grundsätzlich an jedem Instrument verdingen und irgendwann flossen die Ideen sogar schneller als sie Umsetzbar waren. Manche Stücke durchliefen 4 oder 5 Arrangements, um schließlich gänzlich verworfen und von mir durch neue ersetzt zu werden., so der mittlerweile, alte wie auch neue, vom Schlagwerk an die Gitarre gewechselte Hauptsongwriter, Sänger und Frontmann Alex Tsitsigias.

Zwar sieht die Band die einzelnen Stücke mehr den je als "getrennte, ja gar paralleldimensionale Einheiten, dennoch ist das Resultat sehr homogen - die Rhythmussektion hält sich dezent im Hintergrund, die Gitarren hüten sich aufdringlich auszuufern und bleiben zumeist unverzerrt, auch der Gesang erspart sich und den Hörern verstiegene Spirenzchen. Welche Sorgfalt in die Herstellung dieser Platte gelegt wurde, ist unüberhörbar, wird einem jedoch keineswegs um die Ohren gerieben. Die beste Produktion ist schließlich immer jene, über welche die Lauschenden nicht mehr nachdenken, weil sie eben einfach da ist.

Zwar ist den Kompositionen unschwer anzuhören, dass vor Äonen eine musikalische Sozialisation durch Punkmusik und Indierock zu beklagen, Verzeihung: dass man sich ihrer erfreuen konnte, doch was auf "Château Schrottgrenze referentiell zu nennen bliebe, stammt eher aus jener vakuumösen Zeit zwischen der Verwesung von Punk und der Explosion von amerikanischem Verliererrock: jene Jahre, in denen REM ihre ersten Platten veröffentlichen, Gitarrenbands aus Neuseeland für große Augen sorgten und britische Eckensteher noch nicht so genau wussten, wo sie her kamen und noch weniger, wo sie hinwollten und dies mit ihren ebenso schweigsamen Freunden vertonten. Bands, deren Streben nicht dem ultimativen Rockstampfer oder der halbseidenen Hymne galten, sondern der Vertonung einer nicht immer wirklich greifbaren, aber stets ein wenig melancholischen Stimmung.

Château Schrottgrenze ist durchzogen von jener äußerst unaufdringlichen Traurigkeit, die sich auch in den ausgesprochen peinlichkeitsfreien Texten verhakt hat. Affiges Gejaule und unkluges Gefasel bleiben anderen vorbehalten. Ob das, was besungen wird, auf den ersten Blick durchschaubar ist, bleibt glücklicherweise fraglich, denn man hat sich von der profanen Durchleuchtung des eigenen Befindlichkeitskleisters entfernt. Wieder Alex: Im Prinzip ist Château Schrottgrenze unsere Version eines Self-Titled-Albums. Die Platte beinhaltet selbstredend Einsichten in unser derzeitiges emotionales Innenleben ("Mann am Punkt, "Seit ich alles von Dir weiß, "Schrottgrenze), als auch erstmals um das Vortasten in surreale und traumhafte Settings ("Fotolabor, "Eine Stadt aus Klebstoff’, "Wie ein Geist, bloß immer da). Auf vorangegangenen Alben haben wir uns sehr intensiv an rein autobiographischen Umständen und vor allem an unseren eigenen Ängsten abgearbeitet. Meine Recherchen für die neuen Texte bestanden hingegen vielmehr daraus, gerade die Bereiche und Positionen zu erkunden, die uns vormals entweder irrelevant erschienen oder gar verborgen bzw. ungeheuer waren.

Es durchzieht Château Schrottgrenze eine Seltsamkeit, die mit der Eingängigkeit der Lieder trefflich korrespondiert. Diese Langspielplatte wird bleiben.

Statt schnöder Anspieltips lediglich die aktuellen Lieblingslieder des Zeilenschinders: Wie ein Geist, bloß immer da und Alaska.

Rasmus Engler, Febr. 06
* Schrottgrenze *